Offener Brief zum Tag der Muttersprache: Bildungspolitik muss Mehrsprachigkeit endlich mitdenken!

Offener Brief zum Tag der Muttersprache: Bildungspolitik muss Mehrsprachigkeit endlich mitdenken!

Heute ist der Internationale Tag der Muttersprache. Aus diesem Grund haben wir uns – Verband binationaler Familien und Partnerschaften – sowie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaftler:innen und Expert:innen in einem Offenen Brief mit einer unterzeichneten Forderungsliste an Bildungsverantwortliche auf der kommunalen, auf der landespolitischen und auf der bundespolitischen Ebene gewandt.

Mehrsprachigkeit ist in unserer Gesellschaft ein zentrales Thema und sollte endlich in allen Bereichen der Bildungspolitik mitgedacht werden.

Bildung bestimmt die Existenz und Lebensqualität von Familien. Die Zugänge zu Bildung sind jedoch nicht für alle Familien in gleichem Maße gegeben. Nach wie vor ist Bildungserfolg eng an die soziale und sprachliche Herkunft gekoppelt. Mehrsprachigkeit wird hier als Defizit gesehen und als Hindernis für den Bildungserfolg verstanden.

Mehrsprachigkeit ist aber eine gesellschaftliche Realität und mit vielen Vorteilen verbunden. Die nach wie vor monolingual ausgerichtete Bildungspolitik greift dies bisher kaum auf, obwohl allein mehr als 1/3 (ca. 36%)  aller Kinder in Familien einen sog. Migrationshintergrund haben und potentiell mehrsprachig aufwachsen. Kinder und Jugendliche sollten daher einen Rechtsanspruch auf Entwicklung einer eigenen sprachlichen und kulturellen Identität haben, wie es die UN-Kinderrechtskonvention vorsieht.

Wir, die Unterzeichner:innen dieses offenen Briefes, sehen deshalb die Notwendigkeit, dass die Bildungseinrichtungen auf die zunehmende kulturelle und sprachliche Pluralisierung der Einwanderungsgesellschaft mit modernen pädagogischen und didaktischen Konzepten reagieren müssen. Die lebensweltliche Mehrsprachigkeit muss als gesellschaftliche Bildungsressource anerkannt und gezielt gefördert werden. Dazu braucht es einen Perspektivwechsel: Mehrsprachigkeit darf nicht als Defizit oder lediglich als Hintergrundbedingung für den Erwerb von Deutsch als Zweitsprache gesehen werden.

Veränderte pädagogische Konzepte und Ansätze müssen durch unterstützende Strukturen und Rahmenbedingungen mitgetragen werden. Es bedarf einer Änderung des Grundgesetzes über die Zuständigkeit der Bildungspolitik. Bildungspolitik muss bundespolitisch und mit einheitlichen Qualitätsstandards gedacht werden.

Wir fordern:
•  Ein durchgängiges Konzept der sprachlichen Bildung von der Kita bis zur Universität. Übergänge sind ohne Brüche zu gestalten. Sprachliche Bildung ist eine Querschnittaufgabe und in allen Unterrichtsfächern und allen Sprachen relevant.

  Die Einbindung von Mehrsprachigkeit in die geplante Verstetigung des Programms „Sprach-Kitas“.

  Dass Mehrsprachigkeit als Qualitätsmerkmal auch für die Ganztagsbetreuung (Rechtsanspruch ab 2026) von Grundschulkindern gilt. Dazu bietet sich das geplante Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards an.

  Die Anerkennung von migrantischen Familien- oder Herkunftssprachen als schulische Fremdsprachen sowie eine Integration des bisherigen herkunftssprachlichen Unterrichts in den Regelunterricht.

•  Eine leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse in pädagogischen Berufen mit entsprechenden Nachqualifizierungsmaßnahmen. Insbesondere sollen bei der geplanten Qualitätsoffensive Lehrerbildung die mehrsprachigen Kompetenzen als Ressource betrachtet und gezielt eingesetzt werden.

  Die Aufnahme von Pflichtmodulen zu mehrsprachigkeitsrelevanten Themen in die Aus-, Fort- und Weiterbildung.

•  Mehrsprachige Informations- und Beratungsangebote für Familien zur mehrsprachigen Erziehung und Bildung.

•  Anlaufstellen, die Antidiskriminierungsarbeit vor Ort leisten. Denn: Sprachverbote und Sprachgebote sowie Abwertungen von migrantischen Familiensprachen sind nach wie vor Alltag in Bildungseinrichtungen.

Pressemitteilung 21. Februar 2022