Prozess gegen Brandstifter kurzfristig verschoben

Betroffene und ihre Unterstützer*innen skandalisieren die Informationspolitik der Justizbehörden

An diesem Freitag, den 6. November 2020, sollte vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt eigentlich der Prozess gegen den Brandstifter Joachim S. Beginnen. Zwischen September 2018 und Juli 2019 kam es im Rhein-Main-Gebiet zu einer Serie von zwölf Brandanschlägen, die sich gegen linke Wohnprojekte und Zentren richteten. Bei zwei dieser Taten wurde der seit Dezember 2019 in U-Haft sitzende S. Auf frischer Tat ertappt. Laut Medienberichten ist er wegen 16, teils schweren, Brandstiftungen angeklagt, die er zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 begangen haben soll. Ob und inwiefern die Anschläge auf die linken Projekte Teil des Verfahrens sein werden, ist immer noch unklar.
Am Mittwochnachmittag erfuhren die Betroffenen eher zufällig von der Aufhebung des ersten Prozesstermins. Der Anmelder einer Kundgebung anlässlich des Prozessauftakts erhielt einen Anruf des 1. Polizeireviers, um den Ablauf der Versammlung zu besprechen. In diesem Gespräch wurde gegen Ende eher nebenbei mitgeteilt, dass der Prozessauftakt aus »organisatorischen Gründen« verschoben sei. Ein Anruf bei Landgericht bestätigte dies. Gründe wurden nicht genannt.
Anita Conrad, die in einem der betroffenen Projekte lebt, zeigte sich empört über den Umgang der Justizbehörden: »Als Betroffene fühlen wir uns nicht ernst genommen, wenn wir so kurzfristig und eher zufällig von dem geplatzten Prozessauftakt erfahren. Staatsanwaltschaft und Gericht hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, uns direkt über unsere Anwält*innen oder die Opferberatungsstelle ›Response‹ zu informieren.
Die Informationspolitik des Gerichts passt leider allzu gut zur Art, in der Polizei und Staatsanwaltschaft mit uns während der Ermittlungen umgegangen sind.«
Die Betroffenen kritisieren schon seit langem das Vorgehen der Ermittlungsbehörden und haben auf teils eklatante Ermittlungsversäumnisse aufmerksam gemacht. Beispielsweise hatte sich eine Beamtin des Hanauer Staatsschutz im Dezember 2018 unabgesprochen Zugang zum Gelände des Hausprojekts ›Schwarze 79‹ in Hanau verschafft, auf das am 3. Dezember ein Anschlag verübt worden worden war. Außerdem wurden sämtliche Mitbewohner*innen des Projekts vorgeladen, obwohl die Polizei wusste, dass zum Tatzeitpunkt nur wenige anwesend waren.
Während hier mit viel Energie versucht wurde, die Brandanschläge auch noch zu nutzen, um Informationen über die Betroffenen und die linke Szene zu gewinnen, glänzten die Ermittlungsbehörden in anderen Fällen mit sträflicher Untätigkeit: Als Joachim S. Am 21. Dezember 2018 während eines Barabends im Autonomen Kulturzentrum ›Metzgerstraße‹ Feuer legte, wurde er von Anwesenden gestellt und zum ersten Mal verhaftet. Trotzdem hielt es der Hanauer Staatsschutz wochenlang für unnötig, Brandermittler*innen zu schicken, so dass diese Mitte Januar keine verwertbaren Spuren mehr sichern konnten.
Auch der politische Hintergrund der Taten wird von den Ermittlungsbehörden bis heute verleugnet – und das trotz zahlreicher Indizien, die das rechte Weltbild des Täters offenbaren. Unter anderem unterstützte S. Die Rechtsaußenpartei AfD mit einer Spende von knapp 1.700 € – einen Monat vor dem ersten Brandanschlag im September 2018.
Anita Conrad stellt klar: »Bei Vorgehen der Polizei und dem Umgang des Gerichts mit uns handelt es sich nicht um Einzelfälle oder die Unfähigkeit einzelner Beamt*innen und Behördenmitarbeiter*innen. Auch durch die Zusammenarbeit und die Unterstützung von ›Response‹ wissen wir, dass Betroffene von rechter Gewalt und rechtem Terror immer wieder die gleichen Erfahrungen machen müssen: So wird allzu oft der politische Hintergrund der Taten abgesprochen oder gar verleugnet und die Betroffenen für das, was sie erleiden mussten, (mit)verantwortlich gemacht. Auch, dass sich Ermittlungen gegen die Betroffenen selbst richten, ist viel zu oft der Fall. Dieses Vorgehen der Behörden hat System. Vermutlich auch, weil Polizist*innen und Staatsanwaltschaft den Tätern meist näher stehen als den Betroffenen.«
An der Demonstrationunter dem Motto »Feurio! Es brennt schon viel zu lange… Gemeinsam gegen rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße«, zu der die betroffenen Projekte und ihre Unterstützer*innen für Donnerstag, den 5. November um 19 Uhr am Kaisersack aufrufen, halten sie weiter fest.
Tom Schmitz, der den Prozess zur Unterstützung der betroffenen Projekte eigentlich ab Freitag als Beobachter begleiten wollte, gibt sich kämpferisch: »Wir sagen: Jetzt erst recht! Der Prozessauftakt war für uns nur Anlass der Demonstration. Gründe, um in Hessen gegen rechten Terror auf die Straße zu gehen, gibt es aber leider viel zu viele: Neonazinetzwerke in der Polizei, NSU 2.0, das rassistische Attentat in Hanau, dem zehn Menschen zum Opfer fielen, der Mordanschlag auf einen Geflüchteten in Wächtersbach, der Mordanschlag auf Ahmed I. In Kassel/Lohfelden und die Ermordung Walter Lübckes durch Neonazis in Istha bei Kassel.«
Die Kundgebung, die für den Morgen des 6. Novembers vor dem Landgericht angekündigt war, wird verschoben, bis der endgültige Prozessauftakt feststeht. Der Hartnäckigkeit einer Mitarbeiterin von ›Response‹ ist es zu verdanken, dass ein vorläufiger neuer Termin gegen Abend doch noch mitgeteilt wurde, den Polizei und Justizbehörden den Betroffenen selbst nicht verraten wollten:
Freitag, 20. November – unter Vorbehalt.

Feurio!, Pressemitteilung,5. November 2020